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Vineta Pavilion No. 1

Manchmal, in stürmischen Zeiten schließe ich die Augen, atme tief ein und wieder aus und träume mich an einen Ort, an dem ich keine Sorgen habe, an dem ich frei bin und so leben kann wie ich es möchte. Lichtflecken flackern hinter meinen Augenlidern, ich höre, wie mein Atem gleichmäßiger wird – wie der leise Rhythmus eines entfernten Meeres, dessen Wellen sich unermüdlich vor einer unbekannten Küste brechen…

Die Sehnsucht nach dem vollkommenen Leben an einem paradiesgleichen Ort ist vielleicht so alt wie die Erkenntnis, dass Realität und Ideal in unserem Leben nicht immer deckungsgleich sind. Bereits 360 v. Chr. beschreibt Platon das mächtige und an Naturschätzen reiche Inselreich Atlantis, dessen Bewohner Nachkommen des Gottes Poseidon und seiner menschlichen Geliebten Kleito waren. Alles hätte perfekt sein können, wäre der Mensch nur nicht so menschlich. Denn je weiter sich die nachkommenden Generationen von ihrer göttlichen Herkunft entfernten und je größer die Macht des Inselstaates wurde, desto hochmütiger wurden die Bewohner von Atlantis. Zur Strafe versenkten die Götter die Insel im Meer. Platon, der an Atlantis veranschaulicht, wie schwierig es ist, trotz idealer Voraussetzungen einen Staat im perfekten Gleichgewicht zu halten, markiert seine Erzählung von vornherein als Mythos, als philosophisches Gedankenspiel. Und doch gab es ihn vielleicht, jenen idealen Ort, dem rund zwei Jahrtausende später ein ähnliches Schicksal wie Atlantis widerfuhr, der aber im Gegensatz zum platonischen Mythos mehr als nur eine Sage ist: Vineta.

Einen Hinweis auf die „von drei Meeren umspülte Insel“ gibt es erstmals um 965 in dem Bericht des spanisch-arabischen Kaufmanns Ibrahim ibn Jakub, der als Gesandter des Kalifen von Córdoba West- und Mitteleuropa bereiste und die Stadt „Weltaba“ als große Stadt am Weltmeer mit 12 Toren und einem Hafen beschreibt, die mit ihrer gewaltigen Streitmacht den polnischen Herzog Mieszko I. bedroht. Als weitere wesentliche Quelle für die Vineta-Forschung gilt die Hamburgische Kirchenchronik (um 1075) des Adam von Bremen. Darin beschreibt der Priester die „hochbedeutende Stadt Jumme“ als „größte aller Städte, die Europa umschließt“ und in der Slawen, Griechen, Barbaren und andere Völker (solange sie sich während ihres Aufenthalts nicht öffentlich zum Christentum bekennen) friedlich zusammen leben und regen Handel betreiben. Als dritte wichtige Quelle ist Helmold von Bosau zu nennen, der um 1168 die sogenannte Slawenchronik verfasste und dort bereits von „Jumneta“ (später: „Vinneta“) in der Vergangenheitsform schreibt: die Stadt existierte zu diesem Zeitpunkt also nicht mehr. Zum Untergang von Vineta gibt es unterschiedliche Theorien. Der Sage nach jedoch versank Vineta bei einem Sturmhochwasser in den Tiefen des Meeres. Zuvor war den Bewohnern die Stadt als flimmerndes Lichtgebilde über dem Meer erschienen. Die Ältesten erkannten dieses Vorzeichen und riefen zur Flucht auf. Doch die Vineter blieben in ihrer Stadt und gingen schließlich mit ihr unter. Grund für den Untergang war der moralische Verfall der Stadt – so hatte der Hochmut der Vineter sie auch blind für Gefahr werden lassen.

In der Folge haben sich nicht wenige daran versucht, die versunkene Stadt zu orten: in der südlichen Ostsee zwischen dem polnischen Wolin und der bei Rügen gelegenen Stadt Barth gibt es mit den beiden genannten gleich mehrere Orte, an denen man Vineta vermutet. Aber nicht nur die Suche nach dem sagenhaften Ort, sondern auch die damit verbundene Legende der prunkvollen Stadt, in der unterschiedliche Völker ohne die Herrschaft eines Einzelnen friedlich miteinander lebten und doch schließlich an sich selbst scheiterten, hat viele Literaten, Komponisten und Filmemacher seit Jahrhunderten inspiriert: Wilhelm Müller, Heinrich Heine, Theodor Fontane, Gerhart Hauptmann, Selma Lagerlöff, Christian Morgenstern, Erich Kästner, Günter Grass, Jura Soyer, Johannes Brahms, Werner Funck… – um nur einige zu nennen. Und so ist es auch wenig verwunderlich, dass Vineta sogar seinen Weg nach Berlin gefunden hat: in Pankow (Vinetastraße), in Gesundbrunnen (Vinetaplatz) und nun auch in Friedrichshain in der Galerie Kuchling, die ihren ersten „Vineta Pavilion“ zudem in jener Stadt auftauchen lassen wird, in der Wasser, Mythos und Kunst bis heute eine einzigartige Einheit bilden: in Venedig.

Während sich zurzeit auf der Biennale di Venezia die altbekannten Länderpavillons mit Repräsentationsanspruch aneinanderreihen, haucht die Galerie Kuchling in Kooperation mit Rolf Kuchling in einem unabhängigen Ausstellungsprojekt der Legende von Vineta neues Leben ein. Der Vineta Pavilion steht dabei für ein frisches Kunstverständnis, in dem sich Kunst nicht über Nationen, Kunstinstitutionen oder Markttrends definiert. Mit ihrem Pavillon von der legendären, weltoffenen Stadt Vineta hinterfragen die Schöpfer die Bedeutung von Ländern und Staaten, deren Grenzen – vor allem auf der Biennale, aber auch anderenorts – immer noch als definierende Umrisslinien von Kunst und Kultur betrachtet werden. Insgesamt neun unternationale Künstler verschiedenster Genres gestalten in Berlin und Venedig den Vineta Pavilion und interpretieren den Mythos des sagenhaften Ortes neu: Eduard Bigas, Frank Busk, Mette Juul, Peter Johansson, Yael Acher „KAT“ Modiano, Hartmut Stockter und Johanna Rossbach sowie Diana Vishnevskaya und Igor Zwetkow.


Eduard Bigas *1969 in Parafragull (Katalonien), lebt und arbeitet in Berlin

Ich versuche mein eigenes Vineta sichtbar zu machen und zu erschaffen, auf meine Art … [Es] könnte eine Art Fantasiestadt sein, irgendwo zwischen Wirklichkeit und Vorstellungskraft – eine Art Mischung aus Pompeij und Mars.“

Eduard Bigas‘ Zeichnungen und Gemälde zeigen surreale Gebilde, Figuren und Landschaften, die oft organisch anmutende Formen aufweisen. Mit beeindruckender Leichtigkeit bewegt sich Bigas dabei auf der Grenze zwischen Fantasie- und Gegenstandswelt, zwischen abstrakt und figurativ, zwischen schwebenden Farbflächen und feinsten, Halt gebenden Linien. In seinen Zeichnungen zeigt sich der Katalane als Meister der graphischen Linie und feinster Details. In seinen Gemälden beweist er zudem sein außerordentliches Gespür für harmonische und poetische Farbklänge. Für den Vineta Pavilion in Berlin hat der Künstler in der großformatigen Zeichnung „Somewhere between Pompeii und Mars“ seine ganz persönliche Vorstellung von Vineta aufs Papier gebracht. Wie eine mächtige Traumvision scheint die Stadt auf der Papieroberfläche zu schweben. Man möchte bei der Betrachtung jedem noch so kleinen Detail nachgehen und dabei zugleich die Wirkung der gesamten Zeichnung vollständig in sich aufnehmen. Bigas‘ Zeichnung beschwört die Faszination der versunkenen Stadt hervor, die Heine so treffend in seinem Gedicht Seegespenst beschreibt:

Ich aber lag am Rande des Schiffs und schaute träumenden Auges, hinab in das spiegelklare Wasser, und schaute tief und tiefer – bis tief, im Meeresgrunde, anfangs wie dämmernde Nebel, jedoch allmählich farbenbestimmter Kirchenkuppel und Türme sich zeigten, und endlich, sonnenklar, eine ganze Stadt …“

 


Frank Busk *1970 in Dänemark, lebt und arbeitet in Kopenhagen

Ein interessanter Teil für mich ist das Wasser. Und Wasser reflektiert Licht. Da gibt es eine Menge Möglichkeiten etwas Visionäres mit Licht und Wasser zu machen.”

Frank Busk kombiniert traditionelle Druckverfahren wie den Holzschnitt, den Holzstich und den Linolschnitt mit modernen Techniken wie dem Siebdruck oder der digitalen Bildbearbeitung. In seinen eindrücklichen Arbeiten fügt er Skizzen, erste Drucke oder Scans von eben geschnittenen Druckplatten zu neuen, innovativen Formen zusammen. Seine in kräftigen Farben gedruckten Arbeiten zeigen häufig visionäre Stadtansichten und Landschaften, die das Zusammenspiel von Mensch, Natur und Gesellschaft thematisieren. Für Vineta Pavilion hat der Künstler insgesamt vier Drucke gestaltet. In dem größten Werk „The Myth of Vineta“ inszeniert Busk den Untergang der mythischen Stadt als düstere, apokalyptische Vision, in der die leuchtende Insel in den schwarzen Tiefen des Meeres versinkt. In seinen drei Monotypien variiert der Däne die kräftig gedruckten Umrisse einer Frauengestalt mit darunterliegenden Ornamenten und Farbmustern. Vineta erscheint hier als schimmernde, flackernde Vision einer ungreifbaren, fragmentarischen Frauenfigur, die – wie unter der Wasseroberfläche – zwischen Lichtreflexen und den Erinnerungen an die prunkvollen Verzierungen der einst so ruhmreichen Stadt zu treiben scheint. Der Blick auf die spiegelnde und zugleich dunkle Wasseroberfläche wird hier zum Blick ins Unterbewusste.


Peter Johansson *1964 in Själen (Schweden), lebt und arbeitet in Malmö

Ich möchte einfach das traditionelle Familienbild und die Wichtigkeit von familiären Beziehungen sprengen, gegebenenfalls mit einer Wurst. Du nimmst, was du hast. Aus dem Abfall, wird dann – wie bei Atlantis, ähnlich der Vineta-Sage – ein menschliches und liebevolles, neues visionäres Bauwerk zwischen Menschen emporsteigen.“

Der Schwede Peter Johansson hat keine Angst vor den Klischees seines Heimatlandes, im Gegenteil: sie sind das Herzstück seiner Werke. Er rüttelt an ihnen, torpediert sie, treibt sie auf die Spitze, reduziert sie auf ihre Essenz und formt aus ihnen in Bildern, Skulpturen, Installationen und Filmen etwas gänzlich Neues, das dabei immer auf den Ursprungskontext zurückverweist. Im Vineta Pavilion präsentiert Johansson seine mechanische Skulptur „To Hell with the Family“, in der er verschiedene, für seine Heimatprovinz Dalarna typische Versatzstücke miteinander kombiniert: Auf einer alten Kommode und ihren Schubladen ruht eine schwedische Mora-Standuhr neben zwei gestapelten Ikea-Kartons. Sie und alle anderen Möbel sind durch eine metallene Maschinerie verbunden, mit der normalerweise die schwedische Falukorv-Wurst hergestellt wird. Unaufhörlich bewegt sich die Maschine und penetriert dabei rhythmisch Standuhr, Kartons und Kommode. Johansson, der in dieser Skulptur auf eindrückliche Weise sein komplexes Verhältnis zu seiner Herkunft thematisiert, veranschaulicht zugleich, dass aus einer schmerzvollen Erfahrung etwas Neues und Visionäres entstehen kann – gleichsam wie der Untergang Vinetas Inspirationsquelle für Literatur, Musik und Kunst.


Mette Juul *1977 in Randers (Dänemark), lebt und arbeitet in Kopenhagen

Ich mag Mythen. Ich mag die Idee eines vormals existierenden Landes, das sehr besonders war … [Der Mythos] ist ein wundervolles Instrument Vorstellungskraft zu entzünden, Neugier zu entfachen.“

Mette Juul arbeitet hauptsächlich mit Fotografie und Film. Für ihre fotografischen Arbeiten greift sie dabei auf Bilder aus ihrem persönlichen Archiv zurück, mithilfe derer sie dann – aus der Distanz zum Moment des Fotografierens – narrative Strukturen entwickelt. Die Pflege und Weiterentwicklung dieses Archivs ist für die Künstlerin ein ständig fortlaufender Prozess, der erst im jeweiligen Kunstwerk seinen endgültigen Ausdruck findet. In ihren Arbeiten verwendet Juul neben Fotografien und Filmen auch Drucke, Abbildungen aus Büchern oder kleinere Fundstücke, sogenannte Readymades. Im Vineta Pavilion zeigte die Künstlerin zwei Videoinstallationen, die sie mit einer übergroßen fotografischen Arbeit kombiniert. In „Learning as an Aspect Changing Practice“ dokumentiert Juul in einer Parallelmontage das menschliche Lernverhalten: Während eine Gruppe von Frauen versucht, einen alten Plattenspieler wieder funktionstüchtig zu machen, suchen zwei Männer in einem Kutter ihren Weg auf der nächtlichen Ostsee. In „The Suitcase“ fällt ein leerer Koffer ins Wasser, treibt unter Wasser, verheddert sich, bleibt unten. Der ruhige, dokumentarische Kamerablick und das langsame Erzähltempo geben dem Betrachter Raum zum Spekulieren: Werden die beiden Männer ihren Weg finden? Wohin wollen sie? Wem gehört der Koffer und was ist seine Geschichte? – Und schon sind wir mittendrin im Akt des Fantasierens und Erzählens und einen Schritt näher an der Sagenschöpfung von Vineta.


Hartmut Stockter *1973 in Wilhelmshaven, lebt und arbeitet in Kopenhagen

Die Idee der [Unterseeischen Einwanderungsbehörde] war, dass die Fische dort ihren Kopf hineinstecken können und so eine Erlaubnis zur Immigration in diesen See erhalten… Für mich ginge das Projekt nicht so sehr darum, es wäre eher ein Bild für etwas oder eine Allegorie für etwas, das im Moment passiert.“

Hartmut Stockter ist ein Erfinder, ein Forscher mit einer feinsinnigen Beobachtungsgabe und einem besonderen Gespür für Naturräume und deren Bewohner, zu denen manchmal auch der Mensch gehört. Stockter, der sich selbst als „day tripper“ (dt. „Tagesausflügler“) bezeichnet, konstruiert neben handlichen, technischen Apparaten Skulpturen und Installationen aus unterschiedliche Materialien wie Stahl, Holz, Blech und Gummi, die zumeist im direkten Bezug zu dem sie umgebenden Naturraum stehen. Nach Berlin und Venedig bringt der Künstler seine Unterseeische Einwanderungsbehörde, ein ursprünglich am Wasser installiertes großformatiges Periskop, an dessen Ende sich die titelgebende Behörde befindet. Das normalerweise für Fische installierte Amt erhält jedoch im Kontext von Flüchtlingskrise und Brexit eine ganz neue Bedeutungsebene, die sich wiederum auf Vineta beziehen lässt: Dass in Vineta unterschiedliche Völker und Stämme – ganz ohne behördliche Dokumentation und Abfertigung – friedlich zusammenleben konnten, erscheint aus heutiger Sicht wie eine Utopie.


Johanna Rossbach *1979 in Dresden, lebt und arbeitet in Kopenhagen

Für Vineta möchte ich versuchen es möglich zu machen, dass der Besucher zur Lochkamera wird, weil es das ist, was mich so sehr fasziniert: die Arbeit mit der Blackbox; die einfache Blackbox, die nur Licht und Schatten erkennt. Ich möchte den Menschen die Erfahrung mitgeben, dass sie sich von ihrem Alltag lösen und langsamer werden und in eine Gemütsverfassung kommen, in der man die eigene Realität in einem sehr sonderbaren Zustand betrachtet.“

Die Lochkamera steht im Zentrum der künstlerischen Arbeiten von Johanna Rossbach, die zudem als Architektin tätig ist. Die besondere und zugleich einfache fotografische Technik lässt aus alltäglichen Augenblicken ephemere, magische Momente werden. Es dauert durchschnittlich bis zu fünfzehn Minuten, um eine Aufnahme mit einer Lochkamera anzufertigen. Die Fotografien, die dabei entstehen, sind folglich keine Schnappschüsse, sondern konzentrierte Bündelungen von Licht, Schatten, von Zeit und Bewegung, die auf dem jeweiligen Bildträger sichtbar abgebildet und festgehalten werden und dabei zugleich auf sich selbst zurückverweisen. Im Vineta Pavilion hat Rossbach, die all ihre Kameras selbst baut, eine sogenannte Camera obscura – also eine übergroße Lochkamera – konzipiert: Schaut der Besucher durch die Camera obscura, kann er die ihm sonst so vertraute Welt als schemenhafte Geisterwelt entdecken. Ergänzt wird dieses besondere optische Erlebnis durch ein faszinierendes „vinetisches“ Spiegelobjekt und die große Lochkamera-Fotografie „Leaving Vineta, Vineta Leaving“, die mit ihrem düsteren, geheimnisvollen Blick aufs Meer einmal mehr den Geist der versunkenen Stadt nachspürt.


Diana Vishnevskaya & Igor Zwetkow *1988 und *1981, leben und arbeiten in Ventspils (Lättland)

Was interessant an Vineta ist, dass es in vielen Länder so einen Mythos von einem versunkenen, mystischen Ort gibt, der als sehr fortschrittlich und frei bekannt ist und dann plötzlich gänzlich verschwand. Wie ein Bild eines perfekten Ortes, einer gerechten Stadt, einer Traumstadt. Viele der Künstler haben über die Gesellschaft in Vineta wie über eine Alternative zur realen Gesellschaft gesprochen … Es war sehr interessant zu sehen, auf welche Weise die Künstler arbeiten … All diese Unterschiede und auch Ähnlichkeiten haben wir versucht in unseren Filmen einzufangen.“

Die vielgestalte Bildwelt von Diana Vishevskaya und Igor Zwetkow bewegt sich mal auf einer dünnen, vibrierenden graphischen Linie, mal ruht sie auf dem kraftvollen Abdruck einer Monotypie und häufig befindet sie sich auf der flimmernden Oberfläche eines Filmes. Für Vineta Pavilion hat sich das Künstlerduo auf den Weg gemacht und alle am Projekt beteiligten Künstler in ihren Studios oder Wohnorten besucht, interviewt und filmisch dokumentiert. Das Ergebnis sind sensibel beobachtete und behutsam geschnittene Porträts, die den jeweiligen Protagonisten in seiner Besonderheit erfassen und in der Wahl der Filmsprache reflektieren. Die Suche nach Vineta findet hier in der filmisch dokumentierten Begegnung statt.


Yael Archer „KAT“ Modiano *1963 Tel Aviv (Israel), lebt und arbeitet in New York

Wenn man über Venedig und über Berlin nachdenkt, kann man sagen, dass beide Städte auf eine Art gesunken sind oder vielleicht gerade sinken … Venedig sinkt langsam, nach und nach. Berlin sank während des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Und die Zeit der Weimarer Republik ist ebenso eine unglaubliche Zeit von Veränderungen und Transformationen. Also ist das Sinken eine Art der Transformation …, das sich in das Unbewusste, in das Unbekannte bewegt … wie eine Umgestaltung in eine andere Art des Seins.“

Die Musikerin und Komponistin Yael Acher „KAT“ Modiano ist fasziniert von den expressionistischen Stummfilmen, die während der Weimarer Republik entstanden. Mit ihrer Querflöte, einem eklektisch komponierten elektronischen Soundtrack, viel Kreativität und musikalischer Intuition kreiert sie atemberaubende Vertonungen von legendären Stummfilmen wie zum Beispiel „Metropolis“. Für Vineta Pavilion wird sie während der Berlin Art Week zur Projektion des Stummfilms „Anders als die Andern“ (1919) einen zeitgenössischen Soundtrack live entwickeln und präsentieren. Der von Richard Oswald und dem Sexualforscher Magnus Hirschfeld konzipierte Film gilt als erster Film, der sich mit dem Thema Homosexualität befasst. Der Film entstand in einer Zeit während der Weimarer Republik, zu der es keine Filmzensur gab. Doch nur kurz nach seiner Veröffentlichung fiel der Film dann doch einer rigiden Zensur zum Opfer, wurde größtenteils vernichtet und erst Jahrzehnte später aufwendig restauriert werden.