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Uta Zaumseil – Baby, you can drive my car (25. Januar – 8. März 2019)

„Uta Zaumseil ist eine druckgrafische Erzählerin und eine fotografische Malerin. Nichts ist plakativ, eindeutig, mit einem Blick erfassbar. Ihre Geschichten bleiben offen, können den Betrachter packen und in ihm weiterarbeiten.1

Die milchige Wintersonne fällt durch die Atelierfenster. Uta Zaumseil (*1962) steht an ihrem Arbeitstisch und schneidet mit routinierter und entschlossener Hand kleine Stege aus der vor ihr liegenden Holzplatte. Ihr Blick ist konzentriert, die alten Holzdielen unter ihren Füßen knarzen, wenn sie sich nach vorne beugt. Hier, im Obergeschoss eines ehemaligen Schulgebäudes, hat sie Ruhe und den Platz, den sie zum Arbeiten braucht. Auf einer Wäscheleine hinter ihr hängen noch feuchte Drucke zum Trocknen, an der Wand lehnen mehrere Druckplatten. Holz, Linoleum oder MDF – das sind die Materialien, die Zaumseil für ihre Arbeiten, die sie ausschließlich im Hochdruckverfahren fertigt, verwendet. Weiß beschichtetes MDF sei ihre neueste Entdeckung; darauf könne man die Vorzeichnung viel deutlicher erkennen, sagt sie.

Die Künstlerin lebt in Mehla, einem kleinen Dorf in Thüringen, das nur 12 km entfernt von ihrem Geburtsort Greiz liegt. „Ich habe mich also immer nur in diesem kleinen Gebiet bewegt. Das ist aber Zufall. Ich wollte eigentlich eher weit weg.“ Ein Teil dieses Zufalls, wie Zaumseil es nennt, war die Tatsache, dass sie bis zur ihrem 27. Lebensjahr in der DDR lebte. Umzüge, insbesondere nach Berlin, wurden in der DDR durch die Einholung von offiziellen Genehmigungen erschwert und die staatlichen Kunsthochschulen bildeten nur sehr wenige Künstler/innen aus. Bis zum Mauerfall arbeitete Zaumseil in verschiedenen Berufen, zuletzt mehrere Jahre als Buchhändlerin. 1989 wird dann ihr Sohn geboren und bindet die Künstlerin wiederum eng an ihre Heimat. Gleichzeitig beschließt sie, ihren bisherigen Beruf aufzugeben und von nun an als Künstlerin zu arbeiten. Bereits wenige Jahre später erhält sie erste Arbeitsstipendien, die sie u.a. nach Civitella d’Agliano, später nach Rom und schließlich sogar nach Hongkong führen. Ihre Welt weitet sich.

Dabei war Zaumseil schon früh klar, dass sie Künstlerin werden will. Als Schülerin besucht Zaumseil mit dem sogenannten Spezialistenlager2 das Otto-Dix-Haus in Gera. Der Besuch wird zur Initialzündung. Als sie Dix‘ Heiligen Christophorus IV (1939) – ein farbgewaltiges Gemälde in altmeisterlicher Manier – sieht, ist für sie klar: das ist es, was ich machen will. Doch Zaumseil greift nicht etwa zum Pinsel, sondern zu Bleistift, Hohleisen und Farbwalze. Der Hochdruck biete ihr die nötige Abstraktion im Vergleich zur Malerei, sagt sie. Das bedeutet aber nicht, dass die Farbwirkung ihrer Arbeiten nicht weniger malerisch ist. Die Künstlerin verwendet teilweise bis zu 45 Farben für ihre Drucke, die in der Regel Unikate sind. Die Einzigartigkeit der einzelnen Drucke ist auch durch Zaumseils aufwendige Arbeitsweise bedingt. Für die meisten ihrer Arbeiten verwendet die Künstlerin die Technik des verlorenen Schnitts3, bei der nach und nach ein Teil der Druckfläche weggenommen und dann von hell nach dunkel erneut über das bereits vorhandene Bild gedruckt wird. Dieses risikoreiche Verfahren setzt eine genaue Planung voraus: Bereits während der Vorzeichnung muss Zaumseil entscheiden, wie oft gedruckt werden soll, da ein späteres Nachdrucken der gesamten Platte durch das fortschreitende Wegschneiden der Druckflächen nicht mehr möglich ist. Manchmal verwendet die Künstlerin im Nachhinein stehen gebliebene Einzelmotive alter Platten und setzt sie in einen neuen Farb- und Themenraum. Auf diese Weise entstehen Varianten eines Motivs oder gänzlich neue Arbeiten.

Die Inspiration für ihre Motive findet Zaumseil in ihrem direkten Umfeld. Neben der weiten Landschaft ihrer Heimat, abstrakten architektonischen Strukturen, ihrem Sohn Oskar und Hund Takeshi zeigen Zaumseils neuere Arbeiten nun vermehrt Berliner Großstadtmotive. Vom Gebäude der Kunsthochschule Weissensee über die zur festen Masse erstarrten Plakatschichten in der Prenzlauer Allee bis hin zu dem jungen Paar, das sich auf nächtlicher Straße umarmt – Zaumseil hat einen wachen Blick für die poetische, mal skurrile Ästhetik des Alltäglichen. Das scheinbar Vertraute rückt sie dabei von den Rändern mitten ins Zentrum unserer Wahrnehmung und macht uns so das Besondere im alltäglichen Leben bewusst.

Und wenn sich die Künstlerin dann mit ihrer Kamera, die ihr als effizienteres Skizzenbuch dient, durch die Straßen von Berlin bewegt, dann passiert es manchmal, dass ihr ein Motiv wortwörtlich über den Weg läuft. So entstand zum Beispiel ihre Arbeit Baby you can drive my car (2018). Auf dem Nachhauseweg sieht Zaumseil plötzlich mehrere junge Männer im Bademantel; sie sind unterwegs zur nächsten U-Bahn-Station. Kurzentschlossen eilt die Künstlerin der Gruppe nach und schießt ein Foto. Die Aufnahme dient ihr als Ausgangspunkt für den Linolschnitt, der Titel dieser Ausstellung ist. Wie auch für ihre Arbeit Abschlußprüfung (2018) fertigt Zaumseil zunächst eine Fotocollage aus unterschiedlichen Fotos, die ihr dann als Vorlage für die Vorzeichnung dient. Auf diese Weise abstrahiert Zaumseil das Erlebte und löst sich von einer reinen Abbildung des Gesehenen. Den damit einhergehenden Verfremdungseffekt verstärkt die Künstlerin beispielsweise in ihren Arbeiten, in denen sie Fotos oder Ausschnitte aus Zeitschriften überdruckt.

Der von Zaumseil gewählte Werktitel, eine Zeile aus dem Beatles-Song Drive my car, verleiht der Szene eine weitere Bedeutungsebene: die Bademantelträger in Begleitung zweier in schwarz gekleideter Jungs werden plötzlich zu einer Schar Beatles, die hier nicht über den Zebrastreifen in der Abbey Road marschieren, sondern heute mal das Auto stehen lassen und deshalb die Treppe zur Berliner U-Bahn hinunterlaufen… Und schon befindet sich der Betrachter inmitten einer surrealen Erzählung, die Zaumseil gekonnt anstößt, deren Ende sie aber offen lässt. Noch unwirklicher wird es, wenn die Künstlerin die Bademantelträger in einer weiteren Arbeit in eine Unterwasserwelt inklusive überdimensionalem Fisch montiert. Durch die Veränderung des Bildraums erforscht Zaumseil so auf spielerische Weise die Bedeutungsspektren eines Motivs.

Der Eindruck einer narrativen Zeitlichkeit zeichnet viele Arbeiten der Künstlerin aus. Oft befinden sich Zaumseils Figuren gerade inmitten einer Bewegung, wodurch die Anmutung eines angehaltenen Films hervorgerufen wird. Unwillkürlich stellt sich dem Betrachter die Frage, was wohl als nächstes passieren mag. Besonders deutlich wird die Darstellung von Zeit in der Arbeit o. T. (2018), die zeigt, wie Zaumseils Sohn gänzlich in ein Buch vertieft auf einer Matratze über dem nächtlichen Frankfurt schwebt. Die anhaltende Tätigkeit des Lesens und der Zustand des Schwebens setzen ja bereits an sich eine gewisse Zeitspanne voraus. Den Eindruck von kumulierter Zeit überspitzt Zaumseil dann noch, indem sie die tiefe Versunkenheit des Lesenden, der sich nach und nach gedanklich von der realen Welt löst, ganz wörtlich nimmt und ihn tatsächlich davonschweben lässt. Die Faszination des Lesens findet so eine erzählerische Übertragung ins Fantastische. Zudem ist die Künstlerin überzeugt, dass die Zeit, die sie für die Herstellung ihrer Drucke benötigt, auch in ihren Bildern sichtbar ist. „Ich finde, man sieht diese Zeit darin, die man braucht, um die Arbeiten herzustellen…, wenn man sich die Zeit nimmt, die Arbeiten auch lange anzuschauen.“

Die innere Versunkenheit, die viele von Zaumseils Gestalten prägt, geht zuweilen mit einem Gefühl der Verlorenheit einher. Nicht selten druckt die Künstlerin ihre Figuren in einen weiten Bildraum, in dem sie seltsam isoliert wirken. Dort wenden diese Männer mit Aktenkoffer oder Laptop, Frauen mit Stativ oder rudernde Bootsfahrer dem Betrachter ihren Rücken zu oder geben nur ihr verschattetes Profil preis. Dem Betrachter wird so die Position eines Beobachters zuteil, der keinen Hinweis auf die Gemütslage der Porträtierten erhält. Er ist lediglich Glied einer unterbrochenen Kommunikationskette und kann die Stimmung des Dargestellten häufig nur anhand der jeweiligen Farbpalette deuten. Neben kräftigen Kontrasten stehen hier meist zart-verwaschene Farbflächen, die Zaumseil ohne Druckpresse und nur mit dem Eigengewicht ihres Körpers druckt. Dabei gelingt es der Künstlerin mit außergewöhnlicher Differenziertheit besondere Lichtstimmungen im Druckbild nachzuempfinden: das weite Dunkelblau einer Nacht auf dem Land, einen flirrend heißen Sommertag oder das grüngelbe Sonnenlicht, das sich in den Fenstern eines Hauses spiegelt.

Der finale Moment beim Drucken, wenn die letzte Farbschicht schließlich gedruckt ist und der Druck in seiner Ganzheit sichtbar wird, ist bis heute etwas Besonderes für Zaumseil: „Und plötzlich entsteht ein Bild“, sagt sie. „Und auch wenn ich mittlerweile weiß, wie es wird, ist es trotzdem immer wieder eine Überraschung. Und das ist auch das Schöne an der ganzen Geschichte.“


1 Andreas Strobl: Komprimierte Erzählungen zu den rätselhaften Bildern Uta Zaumseils. In: Uta Zaumseil. Ausst.-Kat., Bielefeld 2015.

2 Schulungsheim, in dem Kinder u. Jugendliche, häufig in den Ferien, speziell betreut wurden; meistens im Rahmen einer Arbeitsgruppe z.B. „Zeichenzirkel“, „Junge Naturforscher“ oder „Junge Techniker“.

3 Auch: „Verlorene Form“ oder „Verlorene Platte“

Text: Claudia Heidebluth


Interview mit Uta Zaumseil

Video: Diana Vishnevskaya & Igor Zwetkow


Uta Zaumseil erhielt zahlreiche Stipendien und Auszeichnungen u.a. für Aufenthalte in Civitella d’Agliano. Hongkong sowie für das Künstlerhaus Ahrenshoop; sie wurde mit dem Kunstpreis der IG Metall und dem Ruth-Huhn-Kunstpreis der Kunsthalle Weimar e.V. ausgezeichnet.

Ihre Werke befinden sich heute in privaten und öffentlichen Sammlungen, z. B. im Museum Junge Kunst Frankfurt (Oder), in der Sammlung des Deutschen Bundestages und der Staatlichen Graphischen Sammlung München.

Die Künstlerin lebt und arbeitet in Mehla (Thüringen).   

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