Jarmila Mitríková und Dávid Demjanovič wurden Mitte der 80er Jahre in der Tschechoslowakei geboren, in einem Land und einem politischen System, das es heute so nicht mehr gibt. Und doch ist vieles geblieben, das sich wie ein roter Faden vergangener Zeiten durch die Gegenwart ihrer Heimat schlängelt: Bauwerke, Alltagsobjekte, Erinnerungen, Erzählungen, Bräuche und Mythen, die noch heute Teil der slowakischen Kultur und Identität sind. In ihren Werken spüren Mitríková und Demjanovič diesen Relikten nach und verarbeiten sie mit Humor und Originalität zu einem fantastischen Destillat slowakischer Kultur.
Da ist zum Beispiel die auch in Deutschland bekannte Propagandakampagne gegen den Kartoffelkäfer: Anfang der 1940er Jahre befiel eine weitreichende Kartoffelkäferplage zunächst unzählige Erntefelder im nationalsozialistischen Deutschland. In den 50er Jahren kämpften dann auch die DDR und schließlich mehrere osteuropäische Länder gegen die Plage. Sowohl im Dritten Reich als auch in den kommunistischen Ostblockstaaten war der eigentliche Feind hinter dem sechsbeinigen Vielfraß schnell identifiziert: Die US-Amerikaner hatten die Käfer als biologische Waffe über dem Gegner abgeworfen. Dass Unglücke politisch instrumentalisiert werden, ist keine Neuigkeit, aber was für groteske Züge eine derart „kreative“ Kausalreihe annehmen kann, veranschaulichen Mitríková und Demjanovič in ihrem Gemälde Attack of American bug (2015, dt. Angriff vom amerikanischen Käfer). Hier hat der normalerweise zierliche Käfer plötzlich eine erschreckend monströse Größe und wird, während er mit seinen riesigen Fühlern zwischen zwei Hausdächern hervorlugt, von einem Mann mit einer brennenden Fackel bekämpft. Es bleibt dabei nur zu hoffen, dass nicht etwa Gregor Samsa in dem Chitinpanzer steckt – so kafkaesk und surreal wirkt das Dargestellte.
Doch auch das kommunistische System verfügte über spezielle Geheimwaffen, wie das Künstlerduo in Spiritists Séance (2014) beweist: In einer Séance beschwören sechs weibliche Pioniere den Geist eines längst verstorbenen Politikers, der ihnen ihre sorgsam aufgelisteten Fragen zur politischen Zukunft beantworten soll. Die Geisterbeschwörung, die von Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts besonders populär war, wird hier von Mitríková und Demjanovič in die Ostblock-Ära verlegt und führt auf ironische Weise die fragwürdigen Pfeiler des kommunistischen Systems vor Augen. Und doch hat das Anrufen von Geistern und das Befragen von Orakeln und Astrologen zur politischen Zukunft bekannter Weise historische Wurzeln: ob das Orakel von Delphi oder Wallensteins Leibarzt und Astrologe Giovanni Battista Seni – im Zweifelsfalle scheint es kein Nachteil zu sein, sich auch mit überirdischen oder jenseitigen Mächten abzusprechen.
Und auch wenn der Blick der beiden Künstler auf die rote Vergangenheit ihres Heimatlandes oftmals ein karikierender ist, so spricht zugleich eine große Faszination für die eigene Geschichte aus ihm, die sich nicht nur motivisch zeigt. So hat die von Mitríková und Demjanovič verwendete Technik der Brandmalerei (auch: Pyrographie) eine lange Tradition in der Slowakei und anderen osteuropäischen Ländern.[1] Dort lernen Kinder das überlieferte Handwerk zum Teil bereits in der Schule: Mit einem elektrisch beheizten Brennstift, der das früher verwendete Brenneisen ersetzt, wird die Oberfläche eines beliebigen Holzes verbrannt. Dabei entstehen dunkle, reliefhafte Konturen, die nachträglich mit Farben gefüllt werden können. Diese zwei grundlegenden Arbeitsschritte sind auch bei Mitríková und Demjanovič häufig geteilt: während Demjanovič zunächst mit skizzenhafter Leichtigkeit die Darstellung mit Feuer ins Holz schreibt, koloriert Mitríková im zweiten Schritt mit Holzfarben, Tinte oder Beize die eingebrannten Figuren und Formen. Ein zusätzliches Gestaltungselement bildet hierbei die Oberfläche des Holzes. In einigen Arbeiten tritt sie mit zurückhaltender Maserung nur dezent in Erscheinung, dann wiederum wird die lebhafte Holzstruktur Bestandteil des Bildraumes, wie zum Beispiel in Temptation (2014, dt. Versuchung).
Dort steht ein Mann im khakifarbenen Anzug mit hängenden Schultern etwas verloren im Bildraum und hält geistesabwesend ein buschiges Winkelement in den tschechoslowakischen Nationalfarben in seiner Hand, während zwei geflügelte, schwarze Dämonen ihn umkreisen. Die maserige Holzoberfläche gestaltet hier den Bildhintergrund, bleibt aber unter der Kolorierung der Figur des Mannes sichtbar und verstärkt so den Eindruck einer von außen in ihn eindringenden Macht. Die Gesichtszüge des Dargestellten ähneln denen des Politikers Alexander Dubček, der von 1968 bis 1969 mächtigster kommunistischer Politiker der Tschechoslowakei und Leitfigur des Prager Frühlings war, bevor er sich 1989 der antikommunistischen Opposition anschloss und eine der Hauptfiguren in der sogenannten Samtenen Revolution wurde. Die ihn umschwirrenden Dämonen erinnern in ihrer schwarzen, schattenhaften Gestalt an ähnlich geisterhafte Wesen aus Goyas Radierzyklus Los Caprichos, in dem der Spanier mit seinen Darstellungen einer alptraumhaften Welt voller Dämonen, Hexen und Geister scharfe Gesellschaftskritik übte. Neben dieser inhaltlichen Nähe verweist Temptation zugleich selbstreferentiell auf die spezielle Technik der Brandmalerei und deren materialbedingte Besonderheiten und Ausdrucksmöglichkeiten. Auch die bereits genannten Werke Attack of American bug und Spiritist Séance, in denen Mitríková und Demjanovič die Darstellung von Feuer, Ruß und Rauch gekonnt in Szene setzen, nehmen letztlich Bezug auf die Technik der Pyrographie selbst. Mit dieser Selbstbezüglichkeit und ihrer außergewöhnlichen Technik befreien Mitríková und Demjanovič die Brandmalerei von dem Stigma einer naiven Volkskunst und weisen ihr mit Einfallsreichtum und einem postmodernen Twist einen eigenen Platz in der zeitgenössischen Kunst zu.
Dass sich die beiden Künstler jedoch nicht nur auf eine Materie beschränken, zeigen sie in ihren Plastiken aus Schamotte, einem Gemisch aus Feuerton und bereits gebrannten Ziegel- oder Porzellanbruch. In Building of Morena (2015, dt. Bau der Morena) thematisieren Mitríková und Demjanovič den in der Slowakei und anderen osteuropäischen Ländern[2] noch heute üblichen Brauch, jedes Jahr am 21. März eine überlebensgroße Figur der slawischen Göttin Morena anzufertigen und diese zur Verabschiedung des Winters nach einer Prozession zu verbrennen oder in einem Gewässer zu versenken. Die kolorierte, körnige Oberfläche der Plastik verleiht der dargestellten Szene zugleich etwas Sakrales und Morbides. Wenn man sich zudem den Brennvorgang bewusstmacht, den die Figur bereits durchlaufen hat, dann offenbart die Plastik die eigentliche Essenz des freudigen Festes: einen unheimlichen Mythos, der an Hexenverbrennungen und sogenannte Wasserproben erinnert. In Guardians of national spirituality (2013, dt. Hüter der nationalen Spiritualität) potenziert sich schließlich die Verquickung von Religion, Brauch und Kultur in der Darstellung paralleler Zeitebenen: Während junge Mädchen in slowakischen Trachtenkleidern im Kreis tanzen und dabei von einem maskierten Priester mit einem byzantinischen Doppelkreuz, das zugleich das Wappenzeichen der Slowakei ist, beschworen werden, sieht der Betrachter im Hintergrund die Silhouette einer gläsernen, geodätischen Kuppel, die wie ein UFO in der slowakischen Waldlandschaft liegt.Und wenn Mitríková und Demjanovič hier die spirituelle Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ihrer Heimat nebeneinanderstellen, zeigen auch sie sich, trotz aller Ironie, einmal mehr als Hüter ihrer eigenen kulturellen und – wenn man denn will – nationalen Identität, die allerdings nie für jeden Einzelnen deckungsgleich sein kann, sondern stets ein individuelles Gefüge aus Tatsachen, Erinnerungen, Erzählungen, Bräuchen, Riten, Sozialisierung und den eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen ist. Und wie spannend und amüsant in diesem oft so schwerwiegenden, komplexen Geflecht dabei eine Prise Magie, ein Funke Aberglauben und eine Portion erzählerischer Freiheit sein können, zeigen uns die Werke von Jarmila Mitríková und Dávid Demjanovič.
[1] Die Brandmalerei wurde bereits von den alten Ägyptern und einigen afrikanischen Stämmen betrieben und hat ihre Wurzeln vermutlich in der prähistorischen Zeit. In der Moderne wurde sie Ende des 19. Jahrhunderts wieder aufgegriffen und fand z.B. im Jugendstil häufige Verwendung. In Tschechien und der Slowakei fällt sie zumeist in den Bereich der Volkskunst.
[2] Der Name der Göttin variiert in den unterschiedlichen Ländern. In der Slowakei und Mazedonien heißt sie Morena, in Tschechien z.B. Morana und in Polen Marzanna.