„Kunst ist mehr eine Frage unseres Bewußtseins und weniger die objektive Verbindlichkeit, die sich im Laufe der Jahrhunderte verändert.“
(Manfred de la Motte: Vorwort zur Ausstellung: Scripturale Malerei. Berlin: Haus am Waldsee. 1962.)
Die ursprüngliche Bedeutung des griechischen Wortes Metropolis ist Mutterstadt. Die Übersetzung von Carving lautet Bildschnitzen, Bildhauen.
Den meisten kommen bei dem Wort „Metropolis“ Metropole, also ganz allgemein eine große, bedeutende Stadt, und vielleicht zusätzlich Fritz Langs expressionistische Filmstadt in den Sinn; für einige hingegen mag der Titel der Ausstellung „Eduard Bigas: Carving Metropolis“ die leicht subversive Frage aufwerfen: Schnitzt sich der Künstler mit seinen Arbeiten in die Metropolis ein oder schnitzt sich die Mutterstadt in ihn ein? Wer prägt also wen? Oder gilt beides, und was und wie wird es sichtbar?
Eduard Bigas Geburtststadt, Palafrugell am Fuße der Pyrenäen, ist eine kleine katalanische Stadt in der Provinz Girona an der mittleren Costa Brava. Schriftlich taucht ihr Name zuerst im Jahr 988 auf. Also keine griechisch-antike Mutterstadt (von der aus Tochterstädte gegründet wurden) oder eine zeitgenössische Metropole. Für Nord- und Mitteleuropäer faszinierend ist der hochgelegene Botanische Garten von Cap Roig mit mediterranen, manchmal bizarr geformten Pflanzen und weitem Blick über dunkelblaues Meer bis zum weißblauen Horizont.
Beeindruckender für den kleinen Jungen mit den großen blauen Augen als ein botanischer Garten ist sicherlich der Vater, der Surrealist, der von Beruf Mechaniker ist – „My father is a surrealist – not a painter but a mechanic“ – was gut zusammenpasst.
„My life is my movie“, sagt er. Wir sind Publikum. Gemeinhin wird dem Publikum zuerst die Kinoversion eines Films angeboten, nicht der endgültige Director‘s Cut, die nachträgliche Schnittversion des Regisseurs. Eine Schnittversion seines Lebensfilms aus Bildern und Bilderreihen könnte diese Ausstellung sein, die Teile des Werkes zeigt. (Director‘s Cut im März 2013 für die Räume der Galerie Kuchling.)
Die frühesten Bilder, die hier zu sehen sind, entstehen während seines dreimonatigen Aufenthalts in Australien. Nicht mehr Mittelmeer, sondern Pazifik „So free, never dark“. Natur und blau, keine Skizzen – Eduard Bigas wird auch später niemals Skizzen verwenden. Das Papier ist mit Tee auserlesen eingefärbt, er verwendet Wasserfarben, und setzt die surrealistische écriture automatique oder „automatic writing“ ein. Zum ersten Mal werden aus Buchstaben, auf deren Mitteilungsvermögen und Sinn verzichtet wird, mit der Feder Formen geschaffen. Harmonie, Balance, Schönheit. Auf die Zeit in Australien folgen zwei Monate New York: Metropolis zum Ersten. Nirgends mehr blaue Weite. Die aufgetürmten Steinmassen lassen sich nicht mehr sanft schreiben. Edgar Bigas benutzt andere Farben. „Not blue, but green and black.“ Das Papier hingegen wird weiterhin mit Tee eingefärbt. Die Zeichenfeder wird zum Schnitzmesser: Carving Metropolis. Es gilt für Schnitzmesser wie für Zeichenfeder: nach dem Ansetzen ist nur eine Richtung möglich, kein Hin- und Herbewegen wie mit einem Pinsel. Doch es kann neu angesetzt werden, um den Schnitt oder die Linie zu vertiefen. Und „Schwarz hört auf eine Farbe zu sein, um sich in die Haut oder Kontur jeder Form oder jedes Raums zu verwandeln – sei es als eine Linie, ein Fleck oder ein Buchstabe“. „Black ink lasts forever.“ Wie tätowiert. Noch etwas geschieht: „Automatic“ scheinen jetzt nicht nur die Schrift, sondern auch die gezogenen Linien, die Rahmen und Form bilden, die ausgefüllt werden und damit ihre Bedeutung erhalten. Um den Rahmen wird ein Umfeld assoziiert, eine Legende wird hier erzählt.
In New York entstehen auch Portraits. Edgar Bigas zeichnet Obdachlose und Jazzmusiker. Er verwendet ebenfalls mit Tee eingefärbtes Papier und zeichnet mit schwarzer Tinte. Sein Respekt , seine Neugier erlauben ihm hier nicht mehr eigene Assoziationen, sondern gebieten ihm, sein Ich zurück zunehmen, um dem Anderen gerecht zu werden, um die Aura seines Gegenübers aufzeigen zu können.
„Life is like a marathon: you have to go on.“ Er geht nach London. „London and New York are not so much different“ – für Eduard Bigas. Metropolis zum Zweiten. Hier wird er die nächsten zehn Jahre seines Lebens verbringen.
„The good things I keep going on“. Etwas Neues fügt er hinzu; er beginnt mit Öl und Acryl zu malen. Wie die subtile Einfärbung mittels Tee der Arbeiten auf Papier, wird auch in seinen Gemälden die Grundierung zum wesentlichen Bestandteil der Arbeit. Die Struktur der Leinwand scheint nur verschwunden zu sein; er verbirgt und benutzt sie zugleich als Bestandteil des Bildes. Die aufgetragene Farbe wirkt an manchen Stellen wie in ihrer obersten Schicht abgetragen, abgerieben. Oder die unterschiedlichen Färbungen der Grundierung werden nicht vollständig übermalt, sondern in das Motiv eingearbeitet. Das bringt die Bilder zum Leuchten. Und immer deutlicher wird, dass Eduard Bigas nicht nur abbilden sondern auch durchschimmern lassen will, unabhängig davon, ob es sich um Arbeiten auf Papier oder Gemälde handelt. Die schwarzen Linien halten und umarmen Gedanken, Träume und Phantasien. Zwar bestimmen diese eigentlich unfassbaren, so flüchtigen Gebilde Form und Verlauf der Linien, aber die Linien fangen sie ein und schreiben sie fest. Sie sind bewusst gemacht worden. Der dadurch erreichte Status quo erlaubt weder Ausbruch noch Veränderung. Befreit werden die Linien im Kopf des jeweiligen Betrachters, dessen Assoziationen ihnen neues Leben ermöglichen.
London ist hart. „All the city collapses because of money.“ Aber: „The prize is ok to survive any city.“ Wie in den meisten Filmen spielt auch in seinem Lebensfilm die Liebe eine der Hauptrollen, was aber nicht immer zu einem Happy End führen muss.
Nach zehn Jahren verlässt er die Stadt in Richtung Berlin. „Berlin is always moving.“ Für den Beginn seines Aufenthaltes wählt er einen eher ruhenden, auf jeden Fall ruhigen Ort, nämlich das Spinn-Mausoleum[1] auf dem Friedrichswerderschen Friedhof in der Bergmannstraße. Das leerstehende neogotische Kapellchen ist lichtdurchflutet. Er hört Gustav Mahlers 2. Sinfonie „Auferstehung“. Im 5. Satz heisst es da: „Was entstanden ist / Das muss vergehen! / Was vergangen, aufersteh‘n! / Hör auf zu beben! / Bereit dich zu leben!“ (Text F.G. Klopstock) Ein Katalane in einer neogotischen Kapelle auf einem preussischen Friedhof schnitzt mit der Feder den Traum seiner Auferstehung. Draußen hüpfen und krächzen die Berliner Krähen, keine launischen spanischen Fledermäuse. Oder doch? Es gibt sie auch hier, sie sind hier heimisch.
„You need to believe.“ „You need time.“ Er ist in der Stadt ankommen. Eine weitere Metropole, vorübergehende Gegenwart, die ihn beeinflusst und ein Hier, das er zeigt als „Man of good fortune“ neben einer sehr berlinischen Laterne, verbogener und vielleicht auch viel betrunkener noch als Martin Kippenbergers Laterne „Kellner des …“, aber auch als „Unknown man“ und als „Transitory presence“.
Eduard Bigas ist ein freundlicher Mann, der bereitwillig über sich und seine Arbeit Auskunft gibt. Seine Skizzenbücher und surrealistischen Collagen ermöglichen nachzuvollziehen, woher er kommt, was ihn beeinflusst. Er möchte, dass seine Arbeit respektiert wird.
Wir müssen nur hinsehen, um zu sehen. Das ermöglicht, die anfangs gestellten Fragen zumindest für uns selbst beantworten.
Er signiert seine Werke mit einem roten Stempel.
Die in Anführungszeichen gesetzten Zitate in englischer Sprache stammen aus einem Gespräch mit Eduard Bigas in dessen Atelier und in der Galerie Kuchling, das am 9. Februar 2013 stattfand, die anderen Zitate aus der Homepage von Eduard Bigas.
(Susanne Gaebler)
[1] J.C. Spinn & Sohn.Gründung 1872. Fabrikation von Broncewaaren und Gegenständen für Gas- und elektrische Beleuchtung sowie Gasglühlichtbrennern. 1894 übernahm die Gesellschaft von der AEG deren Abteilung für Beleuchtungs-Gegenstände. In der Fabrik in S 42, Wasserthorstr. 9 waren meist um die 300 Mitarbeiter beschäftigt. Während des 1. Weltkrieges kam die Friedensproduktion fast völlig zum Stillstand, allerdings war das Werk mit Heeresaufträgen so gut ausgelastet, daß der bestehende Verlustvortrag im letzten Kriegsjahr vollständig getilgt werden konnte. Mit 10-16 % konnte die in Berlin börsennotierte AG erstmals nennenswerte Dividenden zahlen. Die erneute Umstellung auf zivile Produkte nach dem 1. Weltkrieg gestaltete sich dagegen sehr schwierig: Die Fabrikation kunstgewerblicher Gegenstände war immer unrentabler und wurde zurückgefahren, von neu eingerichteten Geschäftszweigen entwickelte sich nur die Kino-Abteilung einigermaßen gut. Dermaßen geschwächt ging die 1918 in “AG vorm. J. C. Spinn & Sohn” umfirmierte Ges. 1926 schließlich in Konkurs. (Die Informationen stammen aus dem Berliner Adressbuch 1875 – 1899 und diversen Artikeln aus Wikepedia.)
Ausstellung vom 9. MÄRZ 2013 – 9. APRIL 2013
KÜNSTLER