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Mette Juul & Rasmus Søndergaard Johannsen – Fixations (9. November 2018 – 11. Januar 2019)

An etwas festzuhalten, etwas oder jemanden nicht loslassen zu wollen, ist vermutlich eine zutiefst menschliche Eigenschaft. Wie oft wünschen wir uns, ein besonderer Augenblick würde nie enden und wir könnten ihn mit uns nehmen, so wie er ist, einzigartig, fragil und letztlich doch unwiederbringlich.

Die beiden dänischen Künstler Mette Juul und Rasmus Søndergaard Johannsen setzen sich auf ganz unterschiedliche Weise mit der Flüchtigkeit von Zeit auseinander und doch haben sie etwas gemeinsam: beide versuchen im jeweiligen Material – auf Fotopapier, im flüssigen Metall, das über ein Nylonnetz fließt oder auf einem aus Brennnesselfasern gewebten Bildteppich – einen bestimmten Augenblick festzuhalten, ihn zu fixieren und seine Essenz über den Moment des Entstehens hinaus zu bewahren.

Mette Juul • Mother cleaning Son. 2018 • Analoger Schwarzweißfotografie. 200 x 250 cm

Mette Juul (*1977 Randers) arbeitet für ihre fotografischen Werke mit Bildern aus einem eigens angelegten Archiv, das sie ständig pflegt und erweitert. Zu diesem Archiv gehören auch einige Negative von ihrer Großmutter, die selbst begeisterte Fotografin war. Juul ist fasziniert von den alten Schwarzweiß-Fotografien, die keine inszenierten Porträts von Hochzeiten, Taufen oder Geburtstagsfeiern, sondern Schnappschüsse von privaten Momenten innerhalb der Familie zeigen. So sieht man auf einem der Fotos Juuls Großmutter selbst, die mitten auf einem sommerlichen Feld mit einer liebevollen Geste das Gesicht ihres Sohnes (Juuls Onkel) mit einem Tuch abreibt. Hinter den beiden steht ihr Auto. An einem der Fenster hängt – passend zur vornehmen Kleidung der Protagonisten – ein Sakko etwas verloren auf einen Bügel. Ein zweites Foto zeigt eine junge Frau, einen Mann und einen Jungen, die gerade dabei sind, im Garten eine große Baumwurzel zu zersägen. Während die Frau in ihrem hübschen Kleid und den hellen Schuhen neben dem Mann in Arbeitskleidung mit hochgekrempelten Ärmeln ein wenig deplatziert wirkt und wohl nur für die Kamera vortäuscht, dass sie mithilft, blickt der kleine Junge mit erhitztem Gesicht kritisch direkt in die Kamera und sagt vielleicht gerade etwas zu der Fotografin. Beide Fotos erzählen eine Geschichte, die den Betrachter sofort in den Bann zieht: die innige Geste zwischen Mutter und Kind an einem beinahe unwirklichen Ort; das fast metaphorische Zersägen eines Stammes, bei dem jeder der Beteiligten mit sich selbst beschäftigt zu sein scheint.

Juul selbst war kein Teil dieser Familienerlebnisse und doch ist sie ihr Produkt. Ihr Blick zurück prägt heute ihre eigene Identität. Indem sie die Negative ihrer Großmutter künstlerisch bearbeitet, schreibt sie deren Geschichte fort, transferiert den einst festgehaltenen Augenblick in einen neuen Kontext, wiederbelebt ihn. Dafür vergrößert die Künstlerin zunächst die Negative mithilfe eines fotografischen Vergrößerungsgerätes, das sie auf einzelne an eine Wand geheftete Fotopapiere richtet. Die anschließende Belichtung dauert bis zu 1 Stunde, danach wird jedes Foto nach und nach entwickelt. Während dieses langwierigen Prozesses und der finalen Fixierung kommt es immer wieder zu kleinen Unregelmäßigkeiten auf den einzelnen Detailaufnahmen, die jedem Bild seinen besonderen Charakter verleihen, wie Juul beschreibt: „Das ist eine sehr lange Belichtungszeit …, das bedeutet auch, dass es sehr schwierig ist, es ‚perfekt‘ zu machen. Alle möglichen glücklichen Zwischenfälle passieren während der Belichtung … Am Ende der Entwicklung werden die Chemikalien müde und jeder Druck sieht anders aus. Diese Unfälle, glückliche Zufälle, passieren nicht während eines digitalen Prozesse. Sie machen den Vorgang und die Drucke viel lebendiger.“

Am Ende setzt Juul, wie in einem Mosaik, aus den einzelnen Aufnahmen das Gesamtbild zusammen. Es scheint nahezu so, als seziere sie das Ursprungsbild, um ihm so auf den Grund zu gehen und dem einstigen, bereits vergangenen Moment selbst so nahe wie nur möglich zu kommen. Dass ihre Arbeiten dabei weit mehr als nur eine nostalgische Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte sind, sondern überdies einen selbstreferentiellen Verweis auf das Medium der Fotografie in sich tragen, zeigen die rationalisierten Arbeitsschritte der Künstlerin von der Vergrößerung über die Belichtung bis hin zur Rahmung der fertigen Fotografien. Zudem wählt Juul einige Detailaufnahmen aus, die besonders interessante, fast abstrakt wirkende Veränderungen der Oberflächenstruktur zeigen, und stellt diese in Kontext mit weiteren objets trouvés, wie etwa einer roten Agfa-Fotopackung und einer schwarzen Hülle für lichtempfindliches Fotopapier aus den 50er/ 60er Jahren. In dieser Reihung thematisiert die Künstlerin sowohl die generationsübergreifende Leidenschaft für das Medium der Fotografie, aber auch den Prozess der Fotoherstellung als solchen, der in sich selbst bereits ein kreatives Potential birgt.

Auch Rasmus Søndergaard Johannsen (*1982 Brovst) absolvierte zunächst eine fotografische Ausbildung. Auch wenn er heute nicht mehr direkt mit dem Medium arbeitet, hat ihn die langwierige, präzise und oftmals seriell angelegte Arbeitsweise doch geprägt.

Rasmus Søndergaard Johannsen • Lineated Luminary 11022017. 2017 • Brennnessel, Cyanotypie, Robinienholz, Walzblei • 99 x 99 cm

In seiner Serie Lineated Luminary greift Johannsen auf eine alte fotografische Technik zurück, die Cyanotypie: Auf groben Leinwänden, die er aus Brennnesselfasern gefertigten Seilen webt, sprüht Johannsen eine lichtempfindliche Mischung aus Eisensalzen und belichtet dann die benetzte Oberfläche im Mondschein auf dem Berliner Humboldthain, dort, wo er die Brennnesseln zuvor gepflückt hat. Alles, was während der Nacht auf die Bildoberfläche fällt (Blätter, Äste, Schatten…), hinterlässt einen Abdruck darauf. Ähnlich wie Juul arbeitet Johannsen hier mit einer Art Versuchsanordnung, in welcher er Materialien sowie Ort und Zeit der Belichtung genau bestimmt, aber im finalen Prozess der Belichtung Zufälle zulässt. Das Ergebnis ist das dunkelblaue Licht-und Schattenspiel jenes speziellen Ortes und einer ganz bestimmten Mondnacht, deren Datum der Künstler dann als Zahlencode im Titel der Werke dokumentiert.

Im Gegensatz zu Juul, die ihren Blick oft auf kulturelle oder soziale Aspekte lenkt, findet Johannsen seine Inspiration vor allem in der Natur: „Ich bin auf dem Land aufgewachsen mit 1 km zum nächsten Nachbarn. Ich habe meine Zeit draußen verbracht, Sachen gebaut, zusammengebastelt, verbrannt, zerstört und verändert. Irgendwie sind meine Arbeitsmethoden genauso wie ich als Kind war, nur verfeinert und mit Geduld und Fähigkeiten ergänzt. Ich arbeite mit und in der Natur mit fester Hand und es ist eher ein Kampf als ein Liebesakt. Die Natur ist mein Werkzeugkasten und mein Material.“

Rasmus Søndergaard Johannsen • Close horizon. 2016 • Geknotetes Nylonnetz, Roses Metall. 65 x 145 cm

Dementsprechend entsteht auch seine Serie der Metallnetze Close Horizon im Freien. Am Westhang des Berges Altkönig außerhalb von Frankfurt (Main) platziert Johannsen selbst geknotete Nylonnetze auf einem Ständer. Oberhalb der Netze befestigt er einen Barren aus Roses Metall, einer Bismutlegierung aus Zinn und Blei mit einem Schmelzpunkt von 94° Celsius. Nun wartet er bis zum Sonnenuntergang, fängt dann die Strahlen der Abendsonne mithilfe einer Fresnel-Linse1 ein und lenkt die gebündelten Strahlen auf das Metall, das durch die Wärme schmilzt, über das Netz fließt und dort wieder erstarrt. Die endgültige Gestalt der so entstehenden Skulptur hängt auch hier von kaum kontrollierbaren Faktoren ab: die Kraft der Sonnenstrahlen, die Windstärke, wehende Blätter. Mal entstehen ganz regelmäßige Netze, leicht gewellt vom Wind und dem im Augenblick erstarrten Metall, mal brennen die Sonnenstrahlen große Löcher in das Gewebe. Jede Skulptur hat ihre individuelle Form, so einzigartig wie der Moment, in dem sie entstanden ist.

Was Juul und Johannsen verbindet, ist einerseits ihre Hingabe und Faszination für die Materialien und die Technik, mit denen sie arbeiten. Zudem verweisen ihre Arbeiten mit der ihnen innewohnenden Zeitlichkeit zugleich auf eine narrative Struktur: Was für eine Geschichte steht hinter dem einzelnen Werk? Wie ist es entstanden? Und wenn ich immer wieder die gleichen Ausgangspunkte wähle, wie kann es sein, dass das Ende der Geschichte doch immer anders ausfällt? – Weil es eben keine Geschichte ist, zu der die Erzähler bis zum Ende den Faden in der Hand halten. Trotz Johannsens beinahe manischen Akt des Knotens und Knüpfens, dem aufwendigen Prozess der Seilherstellung aus Brennnesselfasern oder Juuls sorgsamer, langwieriger Belichtung und Entwicklung – am Ende ihres künstlerischen Prozesses lassen beide Künstler los. Sie lassen die Chemikalien reagieren, den Wind wehen, die Wolken über den Mond ziehen. „Und dann entstehen die Zufälle – und das ist etwas, das uns beiden wichtig ist,“ sagt Johannsen über sich und Juul.

1 Die Fresnel-Linse wurde ursprünglich für Leuchtfeuer in Leuchttürmen verwendet. Man findet man sie heute z.B. in Rücklichtern von Autos.

(Text: Claudia Heidebluth, Ausstellungsfotos: Alexander Bondar)


Interviews mit Mette Juul & Rasmus Søndergaard Johannsen


Videos: Diana Vishnevskaya & Igor Zwetkow