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Diana Vishevskaya, Igor Zwetkow, Jörg Schulz & Tadeusz Kovalczyk • Ukraine – Russland. Heiter bis stürmisch

Wenn man sich auf eine Reise begibt, kann man sich nie sicher sein, dass man am Ende dieser Reise noch genau derselbe ist wie zuvor. Das Reisen verändert nicht nur die Position unseres Körpers im geographischen Raum, das Reisen lädt uns ein, fordert uns heraus und manchmal zwingt es uns geradezu, uns selbst in einem anderen, ungewohnten Kontext zu verorten. Dass dieser Kontext nicht immer ein gänzlich unbekannter, nicht immer ein unendlich ferner sein muss, um an fremdvertrauten Welten voll von surreal anmutenden Alltäglichkeiten, eindrucksvoller Naturschönheit und subtiler politischer Brisanz teilzuhaben, zeigen die Fotos von Jörg Schulz und Tadeusz Kovalczyk.

Im Jahr 2012 brechen die beiden Fotografen auf zu ihrer Reise durch Moldawien, Transnistrien und die Ukraine bis hin zur Krimhalbinsel. Was ihnen auf dieser Reise an sentimental-schönen Anachronismen und manchmal auch – insbesondere im Hinblick auf die aktuellen politischen Entwicklungen – an bedrohlichen und fast zynisch anmutenden historischen Dopplungen begegnete, zeigen nun ihre Fotoarbeiten in der Galerie Kuchling, die uns einladen, ebenso Teil dieser Reise zu werden.

Wir fahren los, der Himmel ist blau, die Sonne golden und warm, wir folgen dem Verlauf der Straße. Wir sehen Touristen, die sich vor dem Meerespanorama der Hafenstadt Feodossija fotografieren, ein Gartenfest, Badende am Strand, einen korpulenten Mann in Badehose, der seinen mächtigen Körper der wärmenden Sonne von Balaklawa entgegenstreckt. Wir sehen die beschwingte Feier der Schwarzmeerflotte in Sewastopol, bei der Männer in Marineshirts heiter und gelassen ihre Flaggen schwingen und dann sehen wir Uniformen… Und dann erinnern wir uns, dass Sewastopol  als einstiger Heimathafen der sowjetischen Schwarzmeerflotte bis Anfang der neunziger Jahre eine geschlossene Stadt war und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zum Hauptstützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte wurde. Und heute, heute, denken wir dann, heute ist nicht einmal mehr klar, ob Sewastopol bzw. die gesamte Krim russisch, ukrainisch oder doch autonom ist. Und plötzlich dämmert es: diese (Bilder-)Reise ist doppelbödig. Indem Schulz und Kovalczyk ihre Fotografien mal paarweise, mal in Gruppen arrangieren, entstehen konträre oder parallele Bildaussagen, die das diffizile, alltägliche Absurde, das hier so behutsam von der Kamera eingefangen wurde, noch stärker vor Augen führen. Da wird der halbnackte Rücken einer Frau im Kontext eines Maschinengewehres, das auf dem Dach eines Militärwagens thront, zur schutzlosen Zielfläche, während in Tiraspol eine alte Dame suchend in ihrer Handtasche kramt, nicht ahnend, dass sie vom Fotografen direkt unter das Abbild eines sowjetischen Panzers gesetzt wird. Immer klarer wird, dass hier Tag für Tag Gegensätze miteinander, aber auch gegeneinander leben. Und dann betrachtet man das Emblem von Tiraspol, der Hauptstadt von Transnistrien, der Hauptstadt eines Landes, das bis heute für seine Anerkennung kämpft, und sieht dort das fast schon vergessen geglaubte Motiv von Hammer und Sichel über einer aufgehenden Sonne, umrahmt von Kornähren, Weinreben und Früchten. Dieses Emblem schwebt über dem Foto nackter Frauenbeine und der Auslage einer Fleischerei, die blutige Schweineköpfe zum Verkauf darbietet. Angesichts dieses grotesken Zusammenspiels erinnert man sich an die bereits gesehenen Aufnahmen, an Menschen voller Lebensfreude am Strand, an frisch gefangenen Fisch in braungebrannten Händen, an die warme Sonne auf der Haut und fragt sich ratlos: Wie oft muss eigentlich noch jemand den Kopf verlieren, wie oft muss sich der immer gleiche Konflikt zwischen chronologisch austauschbaren Kontrahenten ereignen?

Mit diesen Fragen stehen wir dann vor den Arbeiten des russischen Künstlerehepaares Diana Vishnevskaya und Igor Zwetkow. Von heiteren Farben und Sonnenschein ist hier erst einmal nichts mehr zu sehen. Stattdessen tauchen wir ein in eine schattenhafte Welt, die in starken Schwarzweiß-Kontrasten oder in auf bis auf eine feine Linie reduzierten bewegten Figuren und Bildern keine Antwort auf diese Fragen liefert und auch gar nicht liefern will. Aufgerissene Münder in dunklen gesichtslosen Antlitzen, Soldaten in Gasmasken, in Kutten gehüllte Männer und der Blick in das organische Innere eines Soldaten, das wie eine Zielscheibe durchnummeriert ist: triffst du Herz oder Kopf, bekommst du die höchste Punktzahl. An diesem Ort gibt es keine Sonne, hier vibriert und schwankt alles und wer nicht aufpasst, wird vom Erdboden verschluckt. Die Grafiken und Animationsfilme von Vishnevskaya und Zwetkow sind Ausdruck einer traumatisierten, postsowjetischen Gesellschaft, die in düsterer Eindringlichkeit aufbegehrt. In der Verwendung von mythologischen Figuren und dem Bezug zu archaischen Legenden sowie in ihrer reduzierten, plakativen Formensprache knüpfen die Künstler an die Tradition des sogenannten Lubok, des russischen Volksbilderbogens, an. Die meist anonym radierten oder geschnittenen Lubki waren in Russland seit Mitte des 17. Jahrhunderts bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts sehr verbreitet. Ihre besondere Formensprache beeinflusste viele russische Avantgardekünstler, darunter Kasimir Malewitsch oder Natalija Gontscharowa. Selbst Lenin, der diese Form der Volkskunst verachtete, konnte die Lubki nicht verdrängen. Satirisch, patriotisch oder sozialkritisch sind diese Bilderbögen ein Sprachrohr der russischen Gesellschaft, das nun in der Galerie Kuchling künstlerisch wiederbelebt und mit dem Abbilden eines zeitgenössischen, gesamtgesellschaftlichen Psychogramms neu beseelt wird. Und an diesem Punkt, an dem wir auf die Psyche einer Gesellschaft treffen, wird unsere Reise zu einer inneren Reise. Eine Reise, die uns zeigt, was Angst und Ohnmacht, militärische Übermacht und die Entfremdung unseres nahbaren Gegenübers aufgrund politischer und militärischer Instrumentalisierung bedeuten. Eine Reise, die uns am Ende das Einfachste und zugleich das Wesentliche über das Reisen lehrt: Es lohnt sich immer. Es lohnt sich aufzubrechen, zu suchen, zu entdecken, Verlorengeglaubtes wiederzufinden, sich unterwegs selbst ein wenig zu verlieren, um am Ende bereichert und verändert wieder bei sich selbst anzukommen.

Und wer jetzt noch meint, Russland, die Ukraine und die Krim seien doch so weit weg und irgendwie abstrakt, der sollte vielleicht mal eine Reise unternehmen…und wenn es nur nach Berlin ist.


Ausstellung vom 27. JUNI – 28. AUGUST 2014


KÜNSTLER

Jörg Schulz & Tadeusz Kovalczyk    Diana Vishevskaya & Igor Zwetkow